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Vor kurzem kam mir wieder ein Buch in die Hände, das ich sehr mag. Es stammt aus den 60er Jahren. Eine kuriose Sammlung eines österreichischen Architekten und Designers namens Bernhard Rudofsky. Über 40 Jahre trug er ‚Architekturen ohne Architekten‘ zusammen. Architekturen ohne Autorenschaft und ohne Repräsentation meint er wohl. Keine genialen Würfe also von Einzelnen, sondern Architektur als gemeinschaftliche, soziale Errungenschaft. Baukultur demnach als von vielen, getragener Ausdruck? Von manchen Seiten wird ja behauptet, Kultur sei nicht so wichtig. Nicht lebenswichtig zumindest. Stimmt. Vielleicht. Für manche. Man kann ja zu einer Beerdigung auch in kurze Hosen erscheinen, oder die Suppe direkt aus dem Topf schlürfen, ohne Besteck. Das kann auch Esskultur sein. Eine weniger hochstehende vielleicht? Kultur offenbart Wertschätzung, anderen und uns selbst gegenüber. Wir halten Kultur hoch, weil sie mehr ist, als das nur Notwendige, weil sie unsere Leistungen darstellt, so wie wir, nicht ohne Stolz, sagen: Wir sind Glarnerinnen und Glarner.

Die Beispiele im Buch sind schwarz weisse Fundstücke. Schlecht gedruckt und dadurch auf Wesentliches reduziert. Unterirdische Gewölbe und Höfe im lehmigen Boden von Henan, in China. Ein Aufklärerpilot machte davon Aufnahmen in den 30ern. Er wollte verstehen, weshalb der Boden kilometerweit von rechteckigen Löchern durchsetzt war. Oder die länglichen, eng stehenden kaukasischen Steinhäuser mit weiten, hölzernen Loggien in Aul Shreck. Zuerst dachte ich an eine tessiner Talschaft. Überhaupt, Bergstädte wie Positano, deren Dachlandschaft sich wie eine feingliedrige, kubistische Verkrustung über die Hügellandschaft zieht. Diese Gestaltung der Natur oder eben Kultivierung erinnert an Ferienorte wie Cinque Terre, nur farbloser, steiniger. Strassenzüge sind kaum erkennbar, eher feine, kapillare Gassenräume. Und ich denke: War lokale Baukultur nicht seit jeher vor allem vom Umgang mit der Natur geprägt? War das nicht schon immer verdichtetes und ressourcenschonendes Bauen mit wesensgleichen Häusern? Ist das berührender als schnittige Einzelbauten?

Architektonische Entwicklungen waren seit jeher eng verknüpft mit ihrem sozialen und kulturellen Kontext. Man vergisst das oft. Dass unsere Städte und Agglomerationen so aussehen, wie sie es heute tun, ist nicht verwunderlich. Energie war seit den Nachkriegsjahren selten knapp. Alles schien baubar, beleuchtbar, beheizbar und erschliessbar. Ohne Folgen. Unabhängig war man, energetisch wie gestalterisch. Führten weiland Knappheit und Not zu gemeinschaftlichen, mitunter nicht freiwilligen, Lösungen, so könnte uns der aktuelle Klimawandel wieder an eine Renaissance lokaler Baukultur denken lassen. Im Glarnerland bauen, mit Holz, Kalk, Stein und Wind? Technologien und Wissen wären sicher einfacher zu bewegen als fürderhin Material herumzukarren. 

Die abgenutzte Nachhaltigkeitsfloskel wäre dann nicht mehr eine Forderung unter vielen, sondern wieder Grundlage des Bauens. Über Jahrhunderte war das gängig und sinnvoll. Sparsamkeit –  zeitgeistig Achtsamkeit genannt – würde Häuser wieder aus der Landschaft entstehen lassen, Ressourcen schonen und sie wieder bedeutungsvoller machen. Sie wären Ausdruck unserer Kultur. Dazu braucht es Innovationskraft. Die, so behaupten wir stets, sei seit jeher Teil der Glarner Kultur. Ich bin gespannt.

 

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*cultura: lat. Pflege, colere: lat. Natur urbar machen.» Wikipedia, Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen der Architektur möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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