<
>

Schöne, laue Sommerabende. Von denen sollte es dieses Jahr hoffentlich noch ein paar geben. Im Garten arbeiten, draussen sein, vielleicht am Feuer mit netten Leuten sitzend, ein Bier – vielleicht auch zwei. Das Leben kann schön sein. Finden Sie den Gedanken auch schön? ‚Schön‘. Ein merkwürdiges Wort. Was ist schon schön? Wäre damit die Annehmlichkeit eines nicht zu heissen, aber auch nicht zu kühlen, eben eines lauen Abends gemeint, das Bequeme und Annehmliche? Dann wäre mein Beruf ein leichter. Eine gute Heizung und genug Dämmung für ein wohliges Klima, eine grosse, helle Stube, die Küche mit hilfreichen Extras, darunter die Einstellhalle mit Lift. Fertig ist das ‚schöne‘ Haus? Es ist ein Anfang, aber reicht das?

Nein, das tut es nicht! Schön blöd. Nun, das wäre, so nebenbei, ohnehin keine erstrebenswerte Kombination. Schön und nicht die hellste Kerze auf der Torte. Aber das ‚schön‘ könnte ‚einfach mit ‚sehr‘, mit ‚ganz ausserordentlich’ersetzt werden. Menschen werden vom Aussergewöhnlichen fasziniert. Wie meine Kinder lieben sie Superlative. Das Guiness Buch der krassen Rekorde. Etliche Gestalter vertrauen in diese vermeintliche Kraft des Auffallens. Mittels deftiger Farbkontraste oder möglichst ausgefallener Formen suchen sie nach Schönheit und Bedeutung. Ein Nadelhochhaus in Vrin? Ist das schön oder blos aufsehenerregend? Es ist verlockend, attraktiv, und kurzlebig. 

Vermutlich währt die Diskussion um den Schönheitsbegriff schon über 2000 Jahre. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten glaubte man an Konventionen und Stilrichtungen. Doch dieser Mantel wurde für unsere Zeit zu eng. Kein stilistisch reines Säulenkapitell, keine Fibonacci Reihe garantieren eine schöne Baute. Ebenmässigen Proportionen sind hilfreich, aber kein Garant für ein schönes Haus. Die Zahlenreihen 1,2,3,5,8 sind wie eine DNA in unserer Kultur eingeschrieben und bereits halbwegs gute Sänger und Sängerinnen wissen wann etwas harmonisch oder eben nicht harmonisch klingt. Nur, Schönheit, sie geht darüber hinaus.

Was ist also wahrhaftig schön, wenn es nicht angenehm, nicht nützlich, nicht besonders und nicht wohlgeformt sein muss? Schönheit ist wie ein scheues Reh, las ich einmal. Das scheue Tier zeigt sich erst, wenn man sich ruhig verhält, an einem Ort länger weilt. Man muss sich darauf einlassen. Dazu braucht es Ruhe und Raum. Dann erschliesst sie sich mit ihren vielen Facetten immer wieder neu. Sie wirkt positiv und anziehend, wie eine sinnlich wahrnehmbare Liebenswürdigkeit. Denken sie an einen lieben Menschen, dann wissen sie was wahrhaftige Schönheit meinen kann. Sie ist unabhängig von Ebenmass und Nutzen.

Das klingt für sie zu gefühlsduselig? Machen wir ein Experiment. Überraschen Sie ihren Partner oder ihrer Partnerin mit einem Blumenstrauss von der Tankstelle. Ein halbes Jahr später schenken sie wieder einen Blumenstrauss, nur, diesmal sammeln und pflücken sie ihn selbst. Auch wenn er nicht so hübsch arrangiert sein wird, wissen Sie schon jetzt über welchen der beiden Sträusse sich ihr Gegenüber mehr freuen wird. Vielleicht erklärt das am Besten was Schönheit meint und dass man sie erkennen muss.

 

--

Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen der Architektur möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

Texte