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Stellen sie sich zwei Gitarren vor, die sich nah gegenüberstehen, mit ihren Öffnungen einander zugewandt. Nun zupfen sie die Saiten der einen – und die zweite beginnt ebenso zu schwingen. Beide Instrumente klingen. Das ist Resonanz. 

Genauso gibt es Resonanz unter Menschen, ja vermutlich ist sie gar die Essenz unseres Menschseins. Wir stehen in Beziehung zu anderen, definieren uns durch Beziehungsgeflechte und wenn die Mitwelt einmal so gar nicht mitschwingen will, wenn sie stocksteif und unberührt bleibt, dann erscheint uns die Welt still, als unerträglich still.  Alle kennen wir das. Resonanz brauchen wir so sehr, dass es uns mitunter sogar egal ist, ob sie harmonisch oder dissonant ist.

In ähnlicher Hinsicht verstehe ich die Arbeit an der Architektur. Architekten sind Beziehungsarbeiter. Sie setzen Bauten in Beziehung, zur Umwelt, zum Kontext, zur Historie, zu jenen Menschen, die sie brauchen, und zu denen, die sie anschauen (müssen). Bauteile bringen sie in bestimmte Verbindung, damit sie funktionieren und eine räumliche Wirkung entfalten. Gute Architektur ist resonant.

Augenfällig wird es bei materieller Resonanz. Der schöne Glanz auf einem aufwändig geglätteten Tadelakt, ein über die Jahre abgelaufener Steinboden, eine russige Decke, ein fein polierter, der Hand schmeichelnder Holzgriff. Ahnen sie was ich meine? Nein? Dann greifen sie einmal einen der Chromnickelstahlhandläufe an den Bahnhofsrampen. Dann haben sie das Gegenteil von Resonanz. Das Rohr liegt ungemütlich gross in der Hand, es ist abwaschbar, superrobust und weist kaum Spuren auf. Der Stahl wirkt kalt und abweisend. Ähnlich ‚still‘ wirken Verputze mit Lotus Effekt und teflonbeschichtetes Feinsteinzeug. Schon als Kind gruselten mich die grellbunten Plastik HEWI Griffe in den Arztpraxen. Manche Materialien ‚erzählen‘ uns, andere schweigen uns an.

Wenn wir heute immer mehr, vom immer gleichen produzieren, wenn wir alles mit immer gleicher Qualität so leichterhand verfügbar machen und uns die Dinge beim Einkauf und Streamen in Fülle und widerstandslos angetragen werden, dann entwerten wir die Dinge. Wir nehmen sie oberflächlicher war, entfremden uns von ihnen und werden vor allem sehr sehr müde davon. Dabei wachsen uns vornehmlich diejenigen Dinge ans Herz, über die wir nicht so widerstandslos verfügen können.  Es sind Dinge an denen wir uns abmühen, weil sie widerspenstig, ungewohnt oder schlicht mühsam waren. Kaffee, (früher bei mir )Zigaretten, Jazz, Meeresfrüchte oder Schuhe putzen?

Von dem Trübsal der stets frei verfügbaren Schwemme erlöst uns kein digitaler Detox, keine Saftkur und kein Urlaub. Man muss sich mit Interesse widmen und Hindernisse überwinden wollen. So beim Brotbacken, weil der Teig nicht immer gleich kommt, beim Musik machen, die nicht immer gut klingt, bei einer fordernden Wanderung und in der Beziehung zu anderen. Wenn ihr geliebter Mensch also einmal wieder so gar nicht tut wie sie es erwartet hätten, wenn er nicht so leichter verfügbar ist, sondern eher kratzbürstig gund wiedständig, dann denken sie, ob seiner Widerspenstigkeit vielleicht an mich und werden gelassen sagen können: Das braucht es um resonant zu sein.

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen, nicht nur der Architektur, möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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