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Cradle to cradle, Zyklisches Bauen, Recycling, Upcycling, Urban mining, etc. Die Begriffe sind in aller Munde. Nachhaltiger und gescheiter will man bauen, vielleicht auch einfacher? Früher beherrschten wir das schon ganz gut. Es waren homogene, wertige Konstruktionen, ähnlich wie sie der Münchner Florian Nagler mit seinen Forschungsprojekten untersucht, alternativ zu den grassierenden, blätterteigartigen Systemen aus Trag, Dämm-, Trennschichten  sowie Folien mit Klebestreifen. Bemerkenswerterweis forscht er an einer Hochschule und nicht am Bau, denn die Gewährleistungsfrage erklärt jedweden unerprobten Versuch zum finanziellen Wagnis, das niemand zu tragen bereit ist. Das Bauen reduziert sich so auf eine präzise Vorhersage mit ähnlichen Bestellqualitäten wie wir sie von Produkten kennen. Die Architektur wandelt sich vom massgeschneiderten Handwerk hin zur Konfektionsware.  Die Schönheit des Imperfekten gibt man der makellosen Glätte der Perfektion Preis. Gefragt wird: Wann ist der Bau bezugsbereit? Wie viel wird er kosten? Wie viel abwerfen? Investieren, kassieren.

Naturstein- und Holzkonstrukte des letzten Jahrhunderts baute man notgedrungen mit dem Klima, mit den Bedingungen der Landschaft und seinen Materialien. Der Energieüberschuss des letzten Jahrhunderts war nicht gratis. Die Quittung dafür erhalten wir gerade. Zwar finden wir Baumaterialien wieder vermehrt in natürlichen Zyklen unserer Umgebung, und integrieren die technischen Kreisläufe der Wiederverwertung. Findige Kolleg:innen verwenden etwa Fassadenbekleidungen und Fenster wieder. Bauteilbörsen gehen an den Markt. Müll wird als Kategorie abgeschafft und richtigerweise als Ressource deklariert. Doch wie soll meine Bauherrschaft verstehen, dass ein gebrauchtes Fenster eingebaut 20% mehr kosten wird oder ein Umbau nicht günstiger als der Ersatzneubau sein wird? Grauenergie einsparen wiegt weniger als die monetäre Last.

An den Hochschulen diskutieren alle engagiert wie die Zukunft zu gestalten sei. Ein grossartiges Gefühl des Aufbruchs wie in den 60ern. Unisono verpönt man Ersatzneubauten und proklamiert den schonenden Umbau. Wiederverwendung und Sparsamkeit wurden wieder zum Gebot der Stunde, das mit einem aktualisierten Geschmacksempfinden einhergehen wird. Künstler, Philosophen und Soziologen lädt man zu den Diskursen, auch Konstrukteure und Praktiker. Alles richtig; aber naiv. 

Klammert man die Sicht der Ökonomen geflissentlich aus? Müsste nicht auch besprochen werden, weshalb Handarbeit höher besteuert wird als industrielle Produktion? Weshalb Inflation vor allem der Bauwirtschaft zuträglich ist? Weshalb gibt es weit weniger Auftraggeber:innen, die etwas hinterlassen möchten, als Institutionen, wie Pensionskassen, die Geld anlegen – müssen? Versuchen sie einmal als Mieter oder Mieterin ihren Bauherren anzurufen. Was meinen Sie wen sie erreichen? Sie, wir alle kennen die Antworten, nur hören wollen wir sie nicht so gern, nicht wahr? Sie sind vielschichtig, vor allem aber zweischneidig, denn wir alle sind die Gesellschaft und auch einmal Pensionäre.

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen, nicht nur der Architektur, möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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