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Vor ein paar Wochen begann der Hype um die KI, die Künstliche Intelligenz, in den Tageszeitungen zu grassieren. Ich las von DALL-E-2, einem neuronalen, artifiziellen Netzwerk, das auf Anweisungen hin Bilder malt oder Texte schreibt und vermutlich sogar einmal Häuser entwerfen wird. Die täuschende Natürlichkeit der Ergebnisse überwältigte und irritierte mich gleichermassen. In dem NZZ-Artikel waren die künstlich geschriebenen Texte von denen der Journalistin nur wegen der kursiven Setzung zu unterscheiden. Mir, wie der Autorin, wurde angesichts der fast perfekten Illusion mulmig zu Mute. Würden in Zukunft Plagiatsvorwürfe nicht mehr nachweisbar sein? Würde jeder künstliche Text, weil er jeweils auf eine menschliche Anweisung hin ausgespuckt wurde, automatisch zum Original? Was unterscheidet uns – noch?

Theatre Dopera Spatial

Im September dieses Jahres prämierte man an einer amerikanischen Kunstmesse ein auf Leinwand gedrucktes KI-Gemälde. Das Bild ‚Théâtre D'opéra Spatial‘ wurde auf einer Webseite über eine Prompt Zeile ‚informiert‘ Der Urheber Jason Allen präzisierte über etwa zwei Wochen hinweg eine immer etwas anders lautende Anweisung, die er dem Bildprogramm auftrug, ähnlich wie sie es von der Google Suchzeile kennen. Die KI sampelte für jeden Befehl aus einem Fundus romantischer Malereien, von Van Gogh bis Hopper, in Echtzeit, eben ‚prompt‘, digitale Bildvorschläge zur Auswahl. Allen wählte eine filmisch wirkende Melange aus rätselhaftem Stargate mit historisch gewandeten Figuren, so wie sie einst am französischen Hof zu finden sein mussten. Das verführerische Setting wählte er zum Liebling, retuschierte es in Photoshop und reichte es auf Leinwand gedruckt als Wettbewerbsbeitrag ein. Welchen Befehl er an das Programm gab, bleibt sein streng gehütetes Geheimnis. Die Könnerschaft seiner Kunst liegt also weniger im Umgang mit dem Pinsel, als mit der Befehlszeile.

So werde die Kunst zu Grunde gerichtet, mahnten viele erwartungsgemäss, doch der Aufschrei im Netz war unnötig. Fotograf:innen nutzen seit Jahrzehnten Apparate und wählen lediglich das Sujet. Tinguely erfand Zeichenmaschinen und etliche Architekten collagieren aus Bildreferenzen ihre Bauten.  Schon lange werden Schöpfungen mittels Apparaten geschaffen oder fast ganz an sie delegiert. Alter Wein in neuen Schläuchen also?

Eine Frage bleibt mir dennoch im Kopf und stimmt mich demütig: Wenn das maschinelle Lernen der künstlichen Netzwerke dem menschlichen Gehirn nachempfunden wurde, wenn Schöpfertum vor allem davon abzuhängen scheint mit welchen Inhalten jeweils Maschine oder Mensch vorher abgefüllt bzw. angelernt wurden, worin liegt dann der Unterschied? Sind menschliche Kreationen tatsächlich so viel sinnhafter als die der KI? Meine Antwort dazu deutete ich mit dem Titel an, doch sie bleibt mein Geheimnis. 

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen, nicht nur der Architektur, möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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