« Ggasche »
Annäherung Zweimal wurde bereits angebaut. Beide Erweiterungen wurden und werden wieder rückgebaut. Der Stettlerbau aber blieb. Und nun? Können wir heute erkennen, was dauerhaft sein wird? Wollen wir ein drittes Mal anbauen? Ja kann man einer Villa überhaupt etwas anbeistellen? Ist es sinnvoll, einem solitär gedachten Prachtbau einen zweiten Bau daneben zu stellen und als neuen Protagonisten zu feiern? Vielleicht. Was aber richtet man damit beim Stettlerbau an? Würde er nicht unversehens degradiert, obwohl man ihn zu erhalten versucht? Diesen Weg möchten wir kein drittes Mal beschreiten. Wir meinen, keine weitere Baute mehr vorschlagen zu dürfen, zumal sie ohnehin kaum einen öffentlichen, einladenden Ausdruck entwickeln würde, solange Kunstwerke darin mehrheitlich ohne Tageslicht gehortet und ausgestellt werden müssen. Es bedarf einer alternativen Strategie, keiner vertikalen, sondern einer horizontalen. Einer, die nicht erneut den zentrischen Solitär asymmetrisch erweitert und die Frage danach, wer nun Neben- und wer Hauptbau sei, bloss unentschieden beantwortet.
Wesen Sehr schöne Häuser können sich viele Städte als Publikumsmagneten anschaffen, doch eine derartige, topographische Besonderheit wie sie Berns Aareschlaufe und Hügel schuf, hat niemand sonst. Das ist einmalig. Zu Recht. Von der UNESCO gewürdigt, von der Denkmalpflege über Jahrzehnte gehütet und für den Berner Ortsbau seit Jahrhunderten prägend. Auch in Zukunft soll das so sein. Einst legte man das Kunstmuseum auf die Abseite des ‚Berner Sacks‘, hin zur Schütte und Deponie des Stadtbrands von 1405, vermutlich auch wegen des Nordlichts. Lange waren hier eine Wiese und lediglich die Mauern der Wehranlage. Später wurde daraus in Teilen eine Parkanlage, die es heute kaum mehr gibt und darüber kam ein der Zeit entsprechendes, klassizistisches Museum zu stehen, eine Art Herrenhaus, das sich nach Norden ausweitete und allseitig präsentiert. Doch ein Villentypus nährt sich nur zum Teil von seiner klassischen, tektonischen Sprachlichkeit, mit dem einhergehenden Anspruch an Gültigkeit. Es sind vor allem der Umschwung, die Parks und öffentlich wirkenden Gärten, die Stattlichkeit und distanzierte Wirkung verschaffen. Der Umraum bildet den auratischen Raum, auf berndeutsch ‚Ggasche‘, wenn man so will. Gewöhnlich passiert man zuerst eine längere Zufahrt, steigt dann eine Treppe hoch in ein Foyer und gelangt über verschiedene Vestibüle und nachgelagerte Schwellenräume erst nach und nach bis zum Salon des Hausherren. Die Räume einer Villa werden nicht nur in der lichten Höhe vertikal, sondern auch in der Horizontalen gedehnt. Man demonstriert damit, sich ein derartig grosses Grundstück leisten zu können, inklusive gestaltetem Garten mit seltenen Gewächsen und der dafür notwendigen Pflege. Dahin wollen wir zurück, zum Wesen der ursprünglichen Absicht, als die Westseite bis zum Waisenhaus grosszügige Gartenanlage war und den Raum zum Hang öffnete. Hierhin wollen wir zurück, wo der Stettlerbau als allseitig wirkender Einzelbau über der Schütti trohnen durfte.
Wesen Also halten wir den Zwischenraum von Museum und dem Polizeigebäude frei. Der Hang wird über die ganze Breite geöffnet. Hangseitig liegt eine Geländestufe, die an der Hodlerstrasse als Plinthe endet. Den daraufliegenden Freiraum fasst eine tiefliegende, kalksteinerne Brüstung. Die Einfriedung schafft eine innere Welt mit eigener Atmosphäre, ohne den Bezug nach Aussen zu verlieren. Die ehemals streng formale Gartengestaltung der historischen Pläne deuten wir zeitgemäss um. Der Garten wird nach einem orthogonalen Prinzip gestaltet, welches typische Gartenelemente der Gartengeschichte sowie Figur- und Grundthemen neu interpretiert. Die vielfältige Bepflanzung, teils in erhöhten Pflanzbereichen, wirkt dabei auf verschiedenen Ebenen. Sie wird als fortschreitender Prozess verstanden, der wächst und sich verändert. Mit dem Durchwandern des Gartens eröffnen sich vielfältige Blickbezüge und Atmosphären. Von der intimen, mit Gehölzen gerahmten Nische zur offenen Wasserfläche bis hin zur Aare und hinaus in die Landschaft. Geschüttete Kleinwälder treffen auf artenreiche Wildstaudenbepflanzungen und stimmungsvolle Senkgärten. In den verschiedenen Kompositionen finden neben zahlreichen Tierarten temporäre Kunstinstallationen Platz. Der Aussenraum wird zur erweiterten Ausstellungsfläche.
Was bei der Hodlerstrasse als öffentliche Terrasse vor einem liegt, schlängelt als schweres Kalksteinmauerwerk mit spolienartigen Einlagen aus dem Abbruch des Atelier-5 Baus zur ‚Schütti‘ hinunter. Grüne Sandsteineinlagen arbeiten in der Vertikalen mit den Risaliten des Stettlerbaus zusammen und formen dessen neuen Sockel. Die einstige Hang- oder Abseite der Anlieferung, wird endlich zur Hauptseite, die als unprätentiöses Bauteil im Hangensemble zwischen dem Waisenhaus und der Suchthilfe aufgeht. Mit dieser Intention weichen wir der Ikonographie eines Einzelbaus aus und stärken die Ikonographie des Stadtkörpers. Zwar bauen wir vor dem Stettlerbau, aber wir bauen für ihn, einen Sockel. Wir schreiben uns in die ‚Ganzheit‘ der Altstadt Berns ein, in ihr System von Gassen, Plattformen und Terrassen. Wir knüpfen an den öffentlichen Freiräumen an, an den Berner Lauben und Promenaden. Wir möchten unseren Vorschlag ganz in der Berner Tradition verstanden haben, so wie es Paul Hofer in ‚Bern als Monument‘ treffend beschrieb:
‚Fremd ist Bern die Geschlossenheit des isolierten, frei im Raume schwebenden, architektonischen Kunstwerkes.
Wichtig war allein die Macht und Grösse des G A N Z E N.‘
Museumsterrassen Die gastronomische Nutzung legen wir an die vorraussichtlich am meisten frequentierte Treppe und binden damit das inventarisierte Mauerstück ein. Der Ort soll auch ausserhalb der Öffnungszeiten belebt sein. Die ‚Bar‘ arbeitet gut mit der darunterliegenden Cateringküche zusammen. Die Terrasse steht allen offen, nicht nur Museumsbesucher:innen. Der Ort wird attraktiv und einladend, hoffentlich ähnlich belebt wie es heute die ‚Pläfe‘ ist. Eine begehbare Fläche vor dem Bistro spannt einen attraktiven Verweilort auf. Darunter erstreckt sich eine offene, multifunktionale Fläche zwischen dem aufgestockten Waldrand und dem Raum für die Kunstvermittlung. Durch die Anbindung an die Uferwege wird die Parkanlage um einen öffentlichen Garten bereichert.
Es gilt, das Museum aus der vertikalen Verschlossenheit in eine horizontale Offenheit umzulegen.
Down The Rabbit Hole Der Eingang ins Museums geschieht über eine kunstvoll gestaltete Kleinbaute, die mit ihrem Vorraum unmittelbar an der Hodlerstrasse steht. Sie ruft innere Bilder eines vergangenen Vorgängerbaus oder an einen nicht vollendeten Auftakt eines nie in Angriff genommenen Baus hervor - je nach Lesart. Gerne würden wir damit eine ähnlich kunstvolle Erscheinung erzielen wie ein Torj Tor oder wie es Schinkel für Königin Luise entwarf. (Entwurf zu einem Mausoleum für die Königin Luise, Fassade, Aquarell 1810, 67,6 x 47,4 cm) Wir stellen uns einen entrückten, chiricohaften Kleinbau vor, gedacht wie der Kaninchenbau von Alice, die damit ins Wunderland abtaucht. Die gesamte, vor einem verborgene Museumswelt (daher auch ‚cacher‘) kulminiert in diesem schmalen Zugang.
Angemerkt sei, dass wir glauben, sämtliche erfolgreiche Museumsbauten seien zuallererst öffentlicher Raum und erst danach Hort von Kunstwerken. Wir denken unter anderem an das Centré Pompidou, wo die Erschliessung nach aussen zum Platz und Stadtraum gekehrt wurde. Genauso meinen wir, dass ein grandioses Museum wie das Louisiana Museum of Modern Art vor allem darauf gründet, Aussen- und Innenraum so stark ineinanderzuarbeiten, bis sie sich gegenseitig bedingen. Wir machen das ebenso. Oben schaffen wir einen Garten als weiteren, alternativen Ort der Stadt, unten schaffen wir mit den Öffnungen in den Stützmauern eine Verbindung zwischen Innen und Aussen sowie eine einfache Orientierung. Als Geschenk erhalten wir über die gesamte Länge Nordlicht.
Vor allem aber stellen wir die lange verleugnete, topograpfische Besonderheit ins verdiente Zentrum. Den nördlichen Aarehang. Eine solche Chance gibt es nicht mehr.
Wesen Zusätzlich könnte, so lange die Gasse des KKJPD nicht geöffnet werden kann, das Treppenhaus des PROGR offen stehen. Es könnte als niederschwellige Vorzone zum Kunstmuseumsbetrieb dienen. Schliesslich geht es um das Verbinden und Vernetzen mit den umliegenden Gebäuden und Aussenräumen für ein städtebauliches Ganzes – ein KulturFORUM des 21. Jahrhunderts, zu dem die Polizei und Justizbauten kaum beitragen können. Es gilt, das Museum aus der vertikalen Verschlossenheit in eine horizontale Offenheit umzulegen, die Stadt mit den Museumsterrassen und dem Aarehang zu verweben. Nur so kommt der Ort zum Leben und bleibt langfristig lebendig. Wenn wir weniger für Besucher:innen und kurzfristiges Spektakel, sondern vor allem für die Berner und Bernerinnen bauen, schaffen wir Akzeptanz, soziale Nachhaltigkeit und Differenz. Es werden vielfältige und schwellenarme Nutzungsmöglichkeiten neben den klassischen Ausstellungsbereichen entstehen. Austausch, Interaktion, Verweilen und Begegnung werden im Zentrum stehen. Einmal wird man sich im Museum zum Essen oder für ein Meeting treffen, vielleicht nach dem Schwumm hier verweilen? Man könnte hier den ganzen Tag verbringen. Das wäre unser Ziel.
‚Pondere ipso stabilis‘ Standfest im eigenen Gewicht. Bern!
Zuletzt. Stützmauern und Gartenterrassen gibt es am südlichen Aarehang zu Hauf. Am Bundeshaus, dem Casino, dem Münster und vielen Restaurantterrassen sind sie typisch für die Berner Altstadt. Sie sind daher keine Erfindung, sondern eine Weiterführung des Bekannten und logischer Gegenpart zum Bundeshaus. So wie das Rathaus dem Münster gegenübersteht, das Weltliche, mit einem Versprung dem Geistlichen entspricht, so könnte man hier ein Gegenstück zum Bundeshaus und der Bundesterrasse lesen. An beiden Orten wird die Zukunft verhandelt.
Organisation Der ortsbauliche Entscheid, dem Wettbewerbsprogramm auf den ersten Blick nicht zu entsprechen, weil keine weithin sichtbare, sondern eine liegende ‚Dominante‘ vorgeschlagen wird, bietet in betrieblicher Hinsicht nicht unerhebliche Vorteile. Das Museumserlebnis wird in den neuen Räumlichkeiten bequem auf nur zwei Geschosse verteilt. Man besteigt keinen Museumsturm, sondern folgt horizontal kuratierten Routen oder wandelt frei. Vertikale Fluchtwege und Steigzonen sind weit weniger notwendig, weil man auf die aussenliegenden Wege flüchten kann. Daneben bietet sich, wie schon erwähnt, über die ganze Länge Nordlicht, genauso wie in jenen Künstlerateliers, in denen die meisten Ausstellungsobjekte entstanden sind. Einzelne, massive Zellen aus Lehmwänden schaffen besondere, kapellenartige Räume, introvertiert und teils unabhängig vom Tageslicht.
Mit der Arbeit in der Fläche lassen sich zwei unterschiedlich hohe Ausstellungsgeschosse um den Bestand legen und mit ihm zusammenspannen. (4m und 6m). Dieser wird nun von Wc‘s und anderen Einbauten befreit. Seine Treppe wird wieder zur Geltung gebracht. Der Stettlerbau wird reiner Ausstellungsbau und die vom Atelier-5 Anbau in Mitleidenschaft gezogenen Aussenwände schliessen wir mit dem Sgrafitto ‚Obsternte‘ von Cuno Amiet ab – sinnfälligerweise zum Garten gerichtet.
Der Eingangskörper separiert unten Foyer und Kassen, so dass Anlässe im Multifunktionsraum getrennt vom Museumsbetrieb durchgeführt werden können. Der teilbare Saal öffnet mit einer Art Diafenster auf die dahinterliegende Wehrmauer. Linkerhand angeschlossen liegt das Catering, dann die Kunstvermittlung an der Aussenwand, ebenfalls verbunden mit Foyer und der Kasse. Die Terrasse davor wurde zur besseren Nutzung verbreitert und öffnet mit freier Brüstung zur Waldkulisse. Von der Kasse kommend, entscheiden Besucher:innen entweder die Sammlung im Stettlerbau zu besuchen oder wählen die flache Rampe in den östlichen Teil des Neubaus. Die geneigte Fläche ist für ein interessantes Raumerlebnis und die im Programm gewünschte Überhöhe am Ende mit 2% Neigung ausgeführt, allenfalls seitlich als flache Treppe.
Im unteren, sehr hohen Ausstellungsgeschoss liegt vor den gewaltigen Räumen eine weitere Aussenterrasse vor den Bäumen. Die geschaffenen Aussenflächen, wie der Garten, die Terrassen und Promenade verstehen wir als Ausstellungs- und Performanceräume. Es sind etwa 2000m2! Dass Museum wird nach Aussen getragen und das Aussen, die Passanten und Spaziergänger:innen werden nach Innen geholt. Den neuen Lift platzieren wir vorteilhaft am Übergang von Alt zu Neu in das Herz der Anlage, um Ausstellungen separat aufzubauen oder gemeinsam zu bestücken. Er erschliesst direkt die jeweiligen Lager- und Werkstättengeschosse (mit runden Öffnungen von oben belichtet), das weiter unten liegende Kunstdepot sowie die Technikräume. Den Lift im Bestand empfehlen wir, zu erhalten. So schlagen wir vor, auf der Plinthe mit einer typischen Berner Lösung zu arbeiten, ähnlich wie sie für die Geschäfte der Innenstadt entwickelt wurde. Eine Aufzugsbühne mit ausladendem Baldachin, allenfalls seitlichen Schutzwänden bringt die Lieferungen auf die jeweiligen Geschosse. Das entspricht auf den ersten Blick nicht den Wünschen der Museumsbetreibenden, aber mit einer ausgefeilten technischen Lösung schafft man es endlich, die Nordseite des Museums nicht mehr als Abseite und Hinterhof zu verstehen, sondern als wunderschöne, belebte mit dem Aarehang verbundene Gartenterrasse.
Gebäudetechnik, Ressourcen Bauliche und technische Synergien
1. Der Baukörper entzieht sich weitestgehend dem Aussenklima und trägt damit wesentlich zu einem stabilen Raumklima bei (<2K/Tag). Durch den Wegfall der externen Lasten (solare Strahlung und Aussentemperatur) reduziert sich der notwendige Leistungsbedarf für Heizen und Kühlen massiv.
2. Die thermische Speichermasse mit massiven Decken/Böden und Wänden mit hygroskopischer Wirkung (Lehm) nehmen die internen Lastschwankungen auf (Personenflüsse und deren Feuchteabgabe) und tragen zur Amplitudendämpfung bei.
3. Es sind keine wasserführenden Heiz-/Kühlsysteme notwendig. Mit der hygienisch erforderlichen Lufterneuerung kann der minimal verbleibende thermische Haushalt und die Feuchteregulierung auf einfache und effiziente Weise gewährt werden.
4. Die thermische Energiebereitstellung erfolgt 100% erneuerbar mittels Nutzung des Aarewassers als energetisch effiziente Wärmequelle (mit Wärmepumpe) und Wärmesenke (Freecooling). Mit einem raumseitigen, saisonal erlaubten Temperaturregime von 18°C (Heizfall) bis 23°C (Kühlfall) ist auch die künftige Klimaerwärmung adaptierbar.
5. Das wichtige Kunstlicht wird dort, wo unkritisch, mit Tageslichtsituationen ergänzt und mittels konsequenter LED-Technologie energetisch effizient und dynamisch anpassbar situiert.
6. Freiraumgestaltung und Bepflanzung sind wichtiger Beitrag zur Hitzeminderung und für das Stadtklima.
--
Wettbewerb im selektiven Verfahren mit Präqualifikation, Erweiterung des Kunstmuseums in Bern. Mit dem Entschluss einen Ort, eine Terrasse statt eines Hochbaus neben die Villa zu setzen kamen wir bis zur zweiten Runde. Team: Benedikt Profanter, Vanessa Beer mit freiraum Landschaftsarchitekten, Dr. Uwe Teutsch Bauingenieur von tragstatur und Adrian Altenburger sowie der Beratung durch Fabian Bischof von Ernst Gerber Architekten in Bern.