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Eine mittelalterliche Mühle, der arg zugesetzt wurde, bauten wir zu einer Wohnung und Goldschmiede um.

Annäherung Aufgefallen war uns das Haus am Bach bislang nicht. Stand es doch verdeckt in zweiter Reihe. Darüber schaute ein Herrenhaus desinteressiert hinweg. Nicht, dass die Villa 'Am Rain' die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hätte, aber der mit Rillenputz überzogene Bau war nur zu leicht zu übersehen. Holzlamellen vor den Fenstern. Ein fahles, bröckelndes Gelb. Was mochte hier einst geschehen sein? Würden darin Maschinen gekühlt? Ein Trafo oder Trocknungsraum?

Lange stand das Gebäude leer. Vielleicht war der davorliegende Dorfbach zu laut? Schliesslich drehen die meisten Anrainer dem Dorfbach gewöhnlich den Rücken zu. Zu laut, zu schnell? Verstanden habe ich das nie. Mir gefiel das Wasser von Anfang an.

Mit der neuen Bauherrschaft erkundeten wir die Innenräume. Im Parterre lage der vordere Hausteil wie ein kleiner Saal am Wasser. Betreten wurde er durch eine tiefe Tür, die von einem Durchgang aus führte. Auf der anderen Seite befanden sich Erdkeller in einer im Hang vergrabenen Tonne. Ein Kellergewölbe, mit steinernen Trennwänden, durchzogen von kleinen Rinnsalen. Die Rückwand darin war glänzend feucht, fast tropfend nass. Eine steile Wangentreppe führte aus einem Verschlag direkt in den Eingangsraum darüber. Das brauchte Platz. Der Ankunftsraum wirkte düster und kalt. Die Stuben, mit graugrünem Täfer, waren schummrig und zu klein. Über Jahrzehnte waren innwändig Schichten aufgetragen worden – für besseren Komfort, jedoch auf Kosten der Raumdimensionen. Dünne Wändchen unterteilten die eigentlich grossen Stuben in beengte Schafkammern.

Hinten lag der gemauerte Hausteil: eine leere Küche, ein ebenso leeres Bad, soweit das erkennbar war, und ein WC im Aussenraum. Der Bereich war mit Betonstellriemen belegt, die zwischen Stahlträgern hingen. Dieser kalte, russige Raum, vermutlich eine frühere Küche, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Dunkel und verstellt war er, doch die schroffen Oberflächen der Natursteine, der rauh und fleckig darauf geworfene Zementputz und die Russschicht waren seltsam wunderbar. Die ursprünglichen Raumdispositionen des einstigen Grosshauses wollten sich uns lange nicht erschliessen – zu stark hatte man ihm zugesetzt.

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AusschnittLMU 02aZweierlei Unser Ansatz begann mit einer präzisen Punktwolke – vor allem mit einem sorgfältigen Rückbau, Schicht um Schicht legten wir frei. Wie viele es waren, kann ich nicht mehr sagen. Doch ich erinnere mich gut an die Diskussionen darüber, ob diese oder jene Schicht diejenige sei, die wir erhalten und wieder nutzen würden. Meist war sie zu brüchig. Erst wichen die dünnen Trennwändchen. Ein Ofen, scheinbar aus einem anderen Haus hierher versetzt, folgte, ebenso die WC-Einbauten. Die Räume gewannen an Klarheit – und doch wurde das Ausmass der Schäden sichtbar. Das Haus scheint versehrt. Mitte oder Ende des 19. Jahrhunderts musste es geköpft worden sein.

Spröd Die durchhängenden Deckenbalken, die sich über die lange Seite spannten, waren rabiat in die Waagrechte gezwungen worden. Mit einem Beil mussten grosse Stücke herausgeschlagen worden sein. Im Boden fanden sich Löcher, Öffnungen für Antriebsriemen oder Einfülllöcher? Nach und nach entpuppten sich die einstigen engen Kammern als repräsentative Stuben. Der Mahlzwang hatte einst wohl für ausreichendes Einkommen gesorgt. Die Besitzer waren wohlhabend und einflussreich. Der Atem der Kernsubstanz lies keine Zweifel darüber.

Der Rückbau sollte uns vor unerwarteten Überraschungen bewahren und bot uns zugleich die Gelegenheit, das Haus über längere Zeit hinweg kennenzulernen und wertzuschätzen. Schicht um Schicht traten Spuren zutage, die wir entschlüsseln und verstehen wollten: feine Ritzungen und Flämmchen im Täfer – Zeichen alten Aberglaubens – sowie unzählige kleine Löcher, in die einst Zettel geheftet worden waren. Die Essecke unterhalb der Bank war von Schuhen geschwärzt, und der Boden so tief abgetreten, dass die Astmaserungen sich als weiches Relief abzeichneten. So arbeiteten wir uns zum Ursprung des Hauses vor und bewahrten dabei jedes ausgehobene Stück Holz, um es später wieder zu verwerten. Je länger wir uns mit dem Bau befassten, desto mehr erkannten wir, dass selbst die groben Schäden eine besondere Qualität hatten – sie erzählten vom Wesen dieses 'versehrten' Hauses. Zusammen mit der Bauherrschaft wurde uns nach und nach klar, dass wir nicht weiter „aufräumen“ wollten, dass wir weder glätten noch angleichen sollten. Stattdessen arbeiteten wir die Sprödheit des Hauses heraus – und mit ihr seine, wenn auch teils unrühmliche Geschichte.

Einschub Hans Döllgast lehrte uns das. In München restaurierte er die Neue Pinakothek von Klenze nach dem Zweiten Weltkrieg, indem er Bombenschäden sichtbar liess und den Krater mit Trümmerziegeln schloss. Sein Eingriff war umstritten – viele hätten lieber einen Neubau gesehen. Doch Döllgasts Haltung, die Wunde nicht zu übertünchen, beeindruckt mich bis heute. Es war weniger eine ästhetische Entscheidung als eine ethische Botschaft.

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Vieles war nun gegeben Neu zu bauen waren nur die Küche und das Bad. Es sollte keine noch so schön gestaltetes Einbaumöbel sein, weder aus Holz noch aus blankem Stahl, sondern ein mit dem Bestand verwachsener Einbau. Deshalb mauerten wir die Küche, verputzten die 'Möbel' grob und brachten teils Betonabdeckungen ein, weil der Bruder des Bauherren solche produzierte. Sprachlich blieben wir zeitgenössisch, in der Haltung jedoch durchaus rückwärtsgewandt – was auch immer das heute bedeuten mag. Wir schränkten die Materialauswahl, soweit möglich, auf einen Umkreis von zehn Minuten ein: Kalk aus Netstal, massive Tanne und Lärche aus dem Tal, sowie unseren 'Wurststein', den sogenannten roten Risi, für Spül- und Waschbecken, Ofen und Arbeitsplatte. Heute bin ich mir sicher, wie sehr die Materialwahl zur Verortung, vor allem zur Resonanz beiträgt. Die Einbauten fasse ich gerne an – spröde Ränder, glatte Flächen. In 100 Jahren, so stelle ich mir vor, beim nächsten Umbau, wird man die Waschtische nicht zerschlagen, sondern wieder verwenden. So wie wir es mit dem Haus taten.

Leerräume Den oberen Leerraum im Hinterhaus liessen wir kalt. Die Decke darüber befreiten wir von den Holzbrettern, sodass Licht ungehindert aus dem Dach einfallen konnte. Eine lange Glasschiebefront zur Küche kontrastiert mit den groben Natursteinwänden. Sie wird so zum Teil des in neuem Licht getauchten Kaltraums. In eine zerfallene Nische setzten wir einen gefundenen Brunnen. Es werden hier eines Tages Pflanzen stehen und wie eine Orangerie wirken – ein innerer Garten. Ein Sommerraum – als saisonale Erweiterung.

Der untere Leerraum steht nur knapp über dem Grundwasser. Tatsächlich stiessen wir sogar auf gespanntes Grundwasser. Die aufsteigende, allgegenwärtige Feuchtigkeit entschieden wir nicht mit einer Betondecke und Sperrschicht abzuriegeln. Stattdessen liessen wir sie mit einem Kalkstampfboden durch das Haus entweichen. Die Innenwände stampften wir mit Hanfkalk, in der Hoffnung, sie würden ebenfalls zur Feuchteregulierung beitragen. Der Kalk wird die Schimmelbildung in den neu eingebrachten Schichten verhindern – soweit die Hoffnung, die sich noch bewahrheiten muss.

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Muehli Bestand
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Im Hintergrund die Tür zur Stube. Die neue Küche mit Verrucano Becken und Ablage. Im Oberlicht ist eine Lampe und die Abuft integriert.

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Aussen Die Entdeckung der gotischen Stuben machte offensichtlich, dass wir, um die bauzeitliche Erscheinung innen erlebbar zu halten, den gefundenen Strick zwingend aussen dämmen mussten. Ein Schindelschirm, wie wir ihn ähnlich beim Sternenbrunnen in Ennenda entdecken, umhüllt nun das Haus. Die Schindelung wirkt wie ein Gefieder und macht das Haus lebendig, nahezu 'wesenhaft'. Mit handwerklichen Feinheiten, behutsamen Freilegungen und der bewussten Materialbeschränkung schufen wir hoffentlich ein Haus, das auch für andere resonant wirkt. Für uns war es ein Unterfangen, an dem eins zum anderen führte, einschliesslich der unerwarteten Geschehnisse, die bei einem Umbau immer zu erwarten sind. Mit der Balance aus Kontrolle und Gelassenheit hoffen wir in der zweiten Reihe etwas Poesie geschaffen zu haben, die sich erst auf den zweiten Blick, dafür umso deutlicher zeigt.

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Direktauftrag, Bis Bauprojekt: Martina Maurer, Ausführung und Bauleitung: Birk Thomas, Ingenieur Runge AG, Bauphysik, Bauphysik BWA Winterthur, Bauarchäologin Ulrike Gollnick, Fotografien des fertigen Baus: Rasmus Norlander

Unternehmungen:
Abart A. GmbH, Mitlödi: Schreinerarbeiten, Küche, Türen
Aebli AG, Ennenda: Spenglerei und Sanitär
Ambühl+Vogelsang, Jona: Farbrestaurierungen
Bernegger Elektro AG, Ennenda: Elektriker
Boris Jurabek NaturGartenPflege, Ennenda: Gärtnerarbeiten
Daniel Ledergerber, Riedern: Steinmetzarbeiten
Gemma Trockenmauern GmbH, Glarus: Pflästerung und Mauer
Maler Malerich, Klosters: Malerarbeiten innen
Forroof Bedachungen, Haslen: Dach
Franz Luchsinger, Ennenda: Antikmöbelschreinerei
Gysi+Berglas, Baar: Firstverglasung
Hanfhandwerk GmbH Thomas Streule, Mels: Hanfkalkdämmung
Hansruedi Menzi, Ennenda: Leuchten
hus Architektur und Handwerk, Tuemgl: Fenstersanierung
J&A Kuster AG Steinbrüche, Freienbach: Verrucanobrünneli
Knobel AG, Schwanden: Chämi, Kachelofen, Küchenabdeckung
Massiv-Werk Remi Schlegel, Dürnten: Holzbau-Sanierung
Maurin Bisig, Haslen: Tadelakt
MEMA Metallbau GmbH Ennenda: Metallbauarbeiten
NIKI Holzschindel GmbH, Kiesen: Schindelfassade
PS Metall AG, Netstal: Schiebefenster 
Rolf Laager AG, Schwanden: Gerüstbau, Verputzarbeiten
Schmid Fenster Manufaktur AG, Teufen: Holzfenster
Schuler Heizungen, Matt: Heizungsanlage
Silidur AG, Andelfingen: Betonfertigteile
Sandro Steger, Ennenda: Metallbauarbeiten
Stüssi Holzbau AG, Linthal: Holzbauarbeiten
T Neuweiler GmbH, Winterthur: Kalkstampfboden
Winteler AG, Mollis: Baumeisterarbeiten

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