« Nicht Architektur, sondern kultivierte Landschaft* »
Weithin ist der Weinberg von Ennetbühls sichtbar. Schon im Wettbewerb zur Linthbrücke zielte dessen Linienführung auf den sonnenbeschienenen Geröllkegel, der sanft über eine Runs nach Ennenda ausläuft. Darüber liegen Schilt und Bärenköpfe, weiter südlich die Aeugstenhütte. Der Steg verbindet nicht nur Ortsteile, sondern Stadt- und Landschaftsräume. Mittig in der Ansicht des Weinbergs verstellt ein recht hübscher Vertreter des Heimatstils die Reben auf den Terrassen dahinter. Ungefähr hundertjährig, hockt das Haus über einer auslaufenden, giebelständigen Häuserreihe.
Innen wirkt der hübsche Bau überraschend kleinräumig, wegen des Eternittäfers geradezu kühl . Mieterinnen und Mieter sitzen mitunter noch bis am Sommerbeginn in gefütterten Jacken an den Tischen. Vor allem ist der Unterhalt des Weinbergs eien grosse Bürde und viel Aufwand verbunden. Der Unterhalt der Stützmauern aus Naturstein verlangt nach aufwändigen Instandhaltungsarbeiten. Eine der rutschenden Mauern fiel bereits um.
Ausgangslage Es stellte sich uns folgende Frage: Wie können wir die Qualitäten des Weinberges in Ennetbüehls besser zur Geltung zu bringen, ausbauen und zu einem 'selbsttragenden', offenen Erlebnisraum umwidmen. Der 'ummauerte Garten' soll nicht privatem Amüsement anheim fallen, sondern ein öffentlich zugänglicher Ort werden. Der Ort liegt entlang der zukünftigen Glarner Kulturmeile, die einmal vom Hauptbahnhof über den Linthsteg erschlossen sein wird.
Mit dem Arbeitstitel ‚Erlebnis Wiberg‘ werden verschiedene Ideen und Angebote vereint, mit denen der Ort als zuversichtliches und starkes Zeichen für Glarus, ja für das Glarnerland etabliert werden soll. Der Ort soll zu einem gesellschaftlichen, kulturellen Anziehungs- und Ausgangspunkt umgeprägt werden. Es geht dabei nicht um landläufige gastronomische Nutzungen, sondern um Räume zur Aneignung durch verschiedene Gruppen oder Einzelpersonen. Wir denken an einen Weihnachstmarkt, ein Winzerfest mit unplugged Musik (wie in Tann am Bielersee), improvisierte Studiokinos in der Garage, eine Skulpturenausstellung vom Kunsthaus kuratiert, Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und Lesungen in der Saletta, Meditationen, Entspannung im Hotpot und Übernachten im Weinberg. Mit dem vorliegenden Projekt wollen wir 'anstossen'. Der Weinberg soll zu einem Ort für Alle, für die Glarner werden.
Das Schutzziel betrifft die Typologie, den kulturhistorischen Wert sowie das Ortsbild. In diesem Fall die Terrassenbauwerke und die Nutzung als Weinberg: „ Ein Glarner Unikum. Nach dem Stäfener Handel, in welchem die lokalen Rebleute unter Zürcher Zunftzwang gestellt werden sollten, brachten Flüchtlinge Reben mit und pflanzten sie für Fridolin Trümpy-Altmann aus Widerstand an.“
Annnäherung Ursprüngliches Ziel war es den Bestand zu erhalten und weiter zu entwickeln. Oft fuhr ich am Weinberg vorbei und dachte: Das schöne Haus ist die Messlatte – zugegenermassen recht hoch gelegt. Alles was folgen wird, muss besser sein. Bei all den unzähligen Vorschlägen, die den Bestand zu erhalten und zu integrieren versuchten, waren die Aussenräume ungünstig platziert und als Erschliessungsräume verstellt. Die Baute warf nicht nur Schatten, was zu dulden wäre, sie bildete auch kaum nutzbare Vorder- und Rückseiten. Ungenügend wirkte auch die weiterhin verstellte Sicht auf den Weinberg. So würde er nicht besser werden, nur anders. Keine der Lösungen bot Besserung. Die Situation wurde eher unklarer und unterstütze das eigentliche Schutzziel nicht: Nämlich nicht ein Haus, sondern das Terrassenbauwerk ins Zentrum zu rücken und seine Nutzung als Weinberg nachhaltig zu ermöglichen.
Das bestehende Haus wurde vor gar nicht so langer Zeit gebaut. Eine undatierte Fotografie, vermutlich um 1911 zeigt den noch unverbauten Weinberg. (siehe Galerie oben, letztes Bild) Am Hangfuss stehen nur ein paar Hütten. Das lies uns nach Wochen des Arbeitens mit dem Bestand doch an einen Rückbau denken. Wir räumten den Hangfuss über die ganze Länge frei. Dann schlossen wir südlich mit einem höheren, turmartig aus der Mauer wachsenden Bau längs der Runs ab. Wie ein Pförtner steht das hohe Haus nun da, verankert den Hang und schützt die Bauten darunter vor den Runs.
'Wie Tempelreste', so beschreibt Bernard Rudofsky die Zitronengärten am Gardasee. Dabei sind es Gewächshäuser beziehungsweise Rankhilfen für Zitronen. Die Lesbarkeit solcher Urtypen ist mannigfaltig. Wir arbeiten ähnlich und legen bewohnbare Stützmauern dazu. Die Zwischenräume füllen wir mit weinberankten Pergolen. Endlich rückte der Weinberg präsent in den Vordergrund. Er öffnet sich als terrassierter Raum zwischen dem zwischen Turm- und Rebhaus, zwischen dem höchsten und dem tiefsten Punkt des Weinbergs. Es scheint als bräuchte es tatsächlich weniger eine architektonische Antwort, also ein Haus mit Fassaden, sondern eher einen verfeinerten, einen kultivierten Landschaftsbau. Wir spürten hier mit dem Ursprung aller Architektur antworten zu müssen, nah an der Urbarmachung und Kultivierung von Natur. Der architeketonsiche Ausdruck sollte anonym bleiben, irgendwie ungestaltet. Es ging um einen nutzbaren Garten, gesäumt von einem Natursteinfried und kräftigen Säulenstellungen. Wir bauen hier also weniger Häuser, mehr einen Weinberg. Dieses starke Gefühl wird zieht sich durch alle noch folgenden Entscheide des Projektes.
Ortsbau Der vor der Stützmauer und dem muralen Turmbau liegende Freiraum wird von einem Impluvium geteilt. Ein Regenwasser Reservoir also, das als Brunnen oder, wenn ohne Wasser, als Platz genutzt werden kann. Es trennt den privaten Wohnteil von der öffentlichen Nutzung des grossen Platzes und kann jeweils mittels Türen und Vorhängen der einen oder anderen Seite zugeschlagen werden. Der neue Hof ist das kraftvolle Zentrum der Anlage. Ein freier Raum der Richtung Vorderglärnisch zeigt. Von hier aus bildet er eine fast perfekte Pyramide. Den Hof verstärken laterale Veranstaltungsräume. Ein kleiner Saal, die Saletta mit Kaminecke, dahinter ein Weinkeller, eine Garage, die als ungeheizter Mehrzweckraum nutzbar ist.
Neben den prägenden Massivbauten fassen vor allem Kolonnaden den öffentlichen, umprogrammierten Ort. Keinen gängigen Funktionsräume also, sondern Orte des Austauschs, Markthalle, Agora und Inkubator.
'Arkaden sind Architektur gewordene Nächstenliebe. Privateigentum, das einer ganzen Gemeinde gewidmet wird. Sie sind Ausdruck von Kollektivität und Gesellschaft.
Nutzung Neu werden vor allem Nutzungen für den Weinberg vorgesehen. Eine Abwartswohnung. Die Betreiber können sich so rund um die Uhr um den Betrieb und Unterhalt kümmern. Gäste können jederzeit empfangen werden.Daneben liegt ein kleines Büro. Man will vor Ort sein und nicht ausser Haus arbeiten. Darüber liegen vermietbare B’n’B Zimmer. Den Hauptraum am Hof bildet die Garage. Sie ist nicht beheizbar, aber mit einem Doppelboden und gedämmten Toren ausgestattet. Darin können Veranstaltungen in den lauen Übergangsmonaten angeboten werden. Im Sommer bietet sie weit geöffnet Platz für eine lange Tafel oder einen Kinoabend in einer warmen Sommernacht. Im Torhaus liegen erdgeschossig ein grosser Weinkeller, ein kleiner Saal, die Saletta mit Kamin. Darüber gibt es zwei, räumlich dichte, dennoch altersgerechte Wohnungen. Ganz oben liegt eine von aussen zugängliche Terrasse als Voliere. Hier wird eine Falknerei ihren Platz finden.
Nachhaltigkeit Vögel werden in den Mauernischen der Kalksteinwände nisten. Schwalben, Fledermäuse, Mauersegler und Insekten sollen ihren Platz haben. Nachhaltigkeit verstehen wir nicht als Floskel oder solitäre Forderung, sondern als ganz grundätzliche Voraussetzung des Entwurfs. Wir wollen aus der Natur und mit der Natur bauen.
Die Konstruktion wird zweischalig ausgeführt. Aussen mit In Situ präfabrizierten Trasskalk Elementen. Innen bauen wir eine offenporige Dämmung mit Misaporwänden. Die Konstruktion soll den Neubau möglichst nah an die bestehenden Natursteinmauern bringen. Nicht nur sollen die Wände im Winter schützen, sondern auch auf die ausgesetzte Sonnenlage reagieren. Mit Masse kann dem sommerlichen Wärmeschutz am Besten entsprochen werden. Mit Material aus dem Glarnerland (Kalkfabrik Netstal) wird die Grauenergie stark reduziert. Vordächer sind gleichzeitig Photovoltaik Anlagen. Sie werden nicht versteckt, sondern selbstverständlich in den Entwurf integriert. Bereits das Eingangstor überdeckt eine amorphe Anlage.
Das Erlebnis Weinberg ist nicht einfach ein touristisches Projekt, auch kein rein kultureller Hotspot und schon gar keine renditeträchtige Investition. Das Projekt Wiberg soll Absichtserklärung sein für eine durch und durch nachhaltige Entwicklung, sowie für besondere Bau- und Denkweisen. Mit dem Projekt Wiberg wollen die Bauherrschaft und wir das Glarnerland weiterbingen und für die Glarner Baukultur einen wichtigen Baustein schaffen.
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Das Projekt ist ein Studienprojekt und von der Umsetzung noch weit entfernt. Mit diesem Projekt arbeiteten wir zum ersten Mal ausserhalb historischen Kontextes.Es ging mehr darum was Kultur bei andschaft und Haus bedeuten könnte. Fragen zu den Ideen bitte an die Betreiber über die Webseite: Weinberg 'Steirumpel'. Mitarbeit: Fabian Bisig, Martina Maurer, Benedikt Profanter Künstlerische Begleitung: Flurin Bisig