« Dorf im Dorf »
Würdigung Die Liegenschaft der Privatschule Dr. Bossard befindet sich mitten im Ortszentrum von Unterägeri und erstreckt sich auf einem weitläufigen Gelände zwischen der Zugerstrasse im Norden und der Zugerbergstrasse im Süden. Mit einer Vielzahl unterschiedlicher Bauten bildet das allseitig vom Aussenraum abgegrenzte Schulareal ein in sich geschlossenes Dorf im Dorf.
Die Haupterschliessung und Adressierung der Schule liegt an der Zugerstrasse, wo die Bauten des Knöpflihauses und des Zwischentrakts als eigentliche Haupt- und Verwaltungsgebäude dienen. Hinter der strassenseitig geschlossenen Bebauung stehen durch Zwischenbauten lose miteinander verbundene Schul- und Wohnbauten, die in eine parkartige Gartenanlage mit hohen Bäumen, Rasen- und Kiesflächen eingebettet sind. Hecken und Absätze gliedern den gestalteten Aussenraum in zahlreiche Einzelräume und Spielplätze. Im nördlichen Abschnitt fassen die Bauten einen Innenhof, während im südlichen Abschnitt über der eingedolten Lorze eine Wiese mit Spielelementen und kleinen Plätzen liegt.
Für die umfangreichen Bauarbeiten zeichneten hauptsächlich der Zimmermeister Josef Häusler-Kramis und der Schreinermeister Josef Hugener verantwortlich. Durch eine einheitliche Ausführung in Naturholz – aussen Rundschindelschirme, innen meist Täfer – gelang es, die unterschiedlichsten Bauten gestalterisch zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Dabei erhielt das Kinderheim das bis heute prägende, hofseitige Erscheinungsbild.
Identität Für den Gesamtcharakter der Anlage am prägendsten sind die erwähnten Um- und Neubauten der Zwischenkriegszeit, als die Brüder Konrad und August Bossard den elterlichen Betrieb übernahmen und ab 1928 erweiterten. Die Neugestaltung in den Jahren 1928–1931 im Spätheimatstil mit modernen Einflüssen ist architekturgeschichtlich die wertvollste Bauphase der Schulanlage und für Unterägeri von äusserst hohem heimatkundlichem Wert. Aus architekturgeschichtlicher Sicht präsentiert sich die Schule als vielgestaltiger, in mehreren Bauphasen zusammengewachsener Komplex.
Dass wir den Einstieg über Zitate aus dem Programm und den denkmalpflegerischen Einschätzungen beginnen, zeigt welch hohen Stellenwert auch wir dem eindrücklichen Ensemble zumessen. Zwar gibt es in Richtung Türmlihaus noch weitere sehenswerte Beispiele des ‚Normaltyps‘ Arbeiter-Kleinhaus mit dreiachsiger Front, aber stattliche, mächtigere Strickbauten sind uns in der unmittelbaren Umgebung nicht bekannt. Der Bestand guter Holzbauten in Zentrumslage schwand über die Jahre, nur noch ein paar Holzkonstruktionen stehen im Spickel zwischen Zuger- und Zugerbergstrasse. Den Abschluss vor der Binzenmatt bildet das ringartige Ensemble der Bossard Schule. Bei diesem schönen Flecken geht es also um einen der letzten identitätsstiftenden Teile von Unterägeri.
Geschichte Dass die Wohnbauten des hübschen Häuserrings über die Jahre zu einem öffentlichen Ort umgewidmet wurden und nun Kindern zugestanden werden, die Schwierigkeiten im Verhalten, in der Sprache oder mit anderen Lernstörungen haben, das finden wir schlicht grossartig. Die familiär geführte Tagesschule und das Internat schaffen eine räumliche Atmosphäre in der sich die Schülerinnen und Schüler geborgen fühlen müssen. Sicher trägt die ‚Umarmung‘ des Innenhofs einen grossen Teil dazu bei. Daneben unterstützen die menschennahe Massstäblichkeit der Fassaden, die hölzerne Erscheinung, die kompositorisch gesetzten Fenster, die geschwungenen Vorbauten, die Klebe-, Vor- und Schleppdächer die besondere, malerische Wirkung. Wir empfinden die Sprachlichkeit insgesamt, eingeschlossen der vermeintlich weniger wertvollen Nord- und Westseiten, als räumlich reich, vor allem aber nahbar und kaum seriell distanziert.
Ein zukünftiger Ersatzneubau hat sich hier sehr hohen Anforderungen zu stellen. Schliesslich muss sich jeder Eingriff am ausserordentlich guten Bestand messen lassen. Ohnehin, wir würden die im Grunde sehr homogen wirkende, gestalterisch hochstehende Ausgangslage lieber unangetastet lassen, gäbe es nicht die berechtigten Wünsche nach besserer Schall und Wärmedämmung, vor allem aber nach helleren, grosszügigeren Raumeinheiten. Genau hier, so glauben wir, liegt das Dilemma, das uns bei der Erarbeitung des Vorschlages am meisten beschäftigte. Die kleinteilige, malerische Wirkung des Bestandes und der Wunsch nach mehr Atem, mehr Grösse in Auf- und Grundriss.
Fragestellung, Dilemma Noch heute werden die Bauten als Villa, Mädchen- und Knabenhaus bezeichnet. So spürt man, dass die eigentlich kleinräumigen Wohnhäuser, zuerst als Heim, dann als Kur- und später als Schulhaus umgewidmet wurden. Der Auftritt und die Wirkung der Häuser ist immer noch einladend wohnlich. Gleichzeitig offenbaren diese Eigenheiten auch eine Bürde, weil sie grosszügige, klare Raumgefüge auf den ersten Blick verunmöglichen. Es ist offensichtlich, dass das Mädchenhaus zahlreichen Anpassungen und Neugestaltungen unterzogen wurde und der denkmalpflegerische Eigenwert geschmälert wurde, weil es den Anforderungen einer Schule nicht genügte. Wir verstehen durchaus den dringenden Wunsch der Familie Bossard nach einer zeitgenössischen Lösung.
Antwort Die Lage und Orientierung des Ersatzneubaus bleibt mit dem bisherigen Bauvolumen in etwa identisch. Der Hof wird abgeschlossen und mit einer Längsseite nach Westen geöffnet. Lange arbeiteten wir mit einem Satteldach, so wie ihn der Bestand aufwies. Doch mit den nicht unerheblichen Flächenanforderungen verschob sich die Hierarchie der Anlage. Das Mädchenhaus wurde merklich höher als bisher und übertraf nun das Knabenhaus. Die Anlage wurde plötzlich nicht mehr durch die Mitte, des in den Garten ragenden Knabenhauses bestimmt, sondern endete mit einem kräftigen Volumen dahinter. Mit der Hierarchieverschiebung stellt sich gleichzeitig die Frage, ob mit dem Neubau wieder eine Art Wohnhaus mit südlichem Giebel vorgeschlagen werden sollte oder ob man nun ein offensichtlicheres, klarer strukturiertes Schulhaus vorschlagen will, eines mit ‚schulischerem‘, seriellerem Ausdruck und grosszügigen Fensteröffnungen. Wir entschieden uns im Sinn des Ensemblegedankens, dem Konglomerat aus unterschiedlichen Bauzeiten ein neues, zeitgenössisches Bauteil einzuschreiben.
Wir schlagen daher einen Strickbau mit supereinfacher dreiräumiger Raumstruktur und einer zentralen Treppenhausschicht vor. Den Giebel darüber drehen wir um 90 Grad. Nicht um niedrige Dachräume zu vermeiden, sondern um das Haus zum Garten zu wenden und mittels der Traufseite die Stärke des Knabenhauses zu erhalten. Villa und Mädchenhaus klammern das Knabenhaus. Das Satteldach ziehen wir im Norden tief hinunter und laden weit aus. Darunter befindet sich ein untergeordneter Zugang. Im Süden bleibt die Fassade zum Park hin so offen wie möglich. Wir wollen eine neue Raumkategorie einführen, dem Wunsch nach Atem und Licht entsprechen. Wir denken an frühere Zeiten, als man Kinderbetten im Sanatorium auf den Balkon schob. Als Architekten hoffen wir mit den räumlichen Entscheiden einen wesentlichen Beitrag für eine gute, freudvolle Lernatmosphäre zu leisten.
Tektonik Der stark strukturierte und übersichtliche Rahmen soll den schwierigen Verhaltensweisen der Kinder begegnen. Die warme und intensive Wirkung des Strickbaus wirkt beruhigend. Unten liegen der Bastel- und Malraum im Erdgeschoss mit Innenhofbezug. Man kann draussen oder drinnen arbeiten. Den Übergang schützt ein kleines Dach. Auf der anderen Seite des Treppenhauses liegt der Essraum. Die grossen Fenster lassen sich zum Park und zu den Eseln hin öffnen. Das Sonnensegel im Süden wird weiterhin über dem Sandkasten und Spielplatz gespannt sein. Oben befinden sich Schul- und therapeutische Räume, um die Wege kurz zu halten. Auf jedem Geschoss liegt zudem ein Gruppenraum und ganz oben unter dem Dach der Kindergarten. Seine Gaube blickt nach Norden. Sie empfängt die von der Hauptstrasse kommenden Besucher und Lehrkräfte.
Das Treppenhaus mit Lift erschliesst die Lehrräume nicht zentral, sondern lateral, damit die intime Atmosphäre beim Eintreten nicht zu sehr gestört wird. Die Schiebetüren genügen brandschutztechnischen Anforderungen (EI30). Sie lassen die starken Raumbezüge gut kontrollieren. Ein Rolltor kapselt den Garderobenteil im Brandfall ab. Das Treppenhaus verstehen wir weniger als Fluchtweg, sondern als Übergangszone. Hier werden Zähne geputzt und Kleider gewechselt. Einzelne transluzente Öffnungen in der Wand stärken den Bezug zwischen Treppenraum und Lehrraum.
Machart Der Physiologe und Forscher Maximilian Moser von der Universität Graz konnte in Studien nachweisen, dass Holz positiv auf die Herz-Kreislaufwerte und die Konzentrationsfähigkeit von Menschen wirkt. Auch ohne diese Studie stellen wir uns vor, dass klare Strukturen und Vollholz als Baumaterial positiv wirken. Grosse Teile der Schulanlage und manche historische Nachbarhäuser sind in Vollholz gebaut. Dort knüpfen wir an. Anfänglich wollten wir mit Vollholzelementen von Küng konstruieren, aber die lokale Wertschöpfung und Bautradition wollten wir nicht ausser Acht lassen. Daher denken wir die Räume als Strickbau. Die mittlere Treppenschicht mauern oder stampfen wir, um den Anforderungen an ein Fluchttreppenhaus zu genügen (vertikal REI60-RF1). So können wir den massiven Treppenlauf auch besser integrieren. Die Decken des Treppenhauses stellen wir uns als Hurdis-System aus Holz vor. Eichenbalken spannen von Wand zu Wand, dazwischen liegen Backsteine mit offenen Löchern. Darüber legen wir ein Vlies oder Mineralwolle, darauf dann die Holzschalung und die Bodenaufbauten.
In den Zimmern würden wir ebenfalls mit Vollholz arbeiten wollen. Eine Balkenstapeldecke mit Federn, darüber eine Diagonalschalung, eine Splittschüttung, Trittschall und dann der gleiche Unterlagsboden wie im Treppenhaus. Vielleicht wäre es kostengünstiger sämtliche Böden als Balkenböden zu konstruieren. Das müsste eine Präzisierung des Projektes noch zeigen.
Aussen überziehen wir die Fassaden mit einem Rundschindelschirm. Abwürfe aus Brettern sorgen für den geschossweisen Brandschutz ohne harte Linien zu zeichnen. Gleichzeitig schaffen wir damit bessere, liegende Proportionen. Die Fenster sind nicht nur ausgestanzte Löcher in den Wänden, sondern entweder bündig liegende Flächen mit Schiebeläden, montiert unter dem Abwurf, oder es sind grosszügige Öffnungen mit arretierbaren, flächigen Fensterläden mit Gratleisten, die wir an den Setzhölzern befestigen. So sind die Fenster nicht nur Öffnungen, sondern kleine schreinermässige Konstrukte mit denen sich graduell verschiedene Öffnungsszustände einstellen lassen. Die ausgestellten Flächen im Süden spenden im Sommer Schatten, im Winter fällt die Sonne tief in die Räume.
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Studienauftrag im Einladungsverfahren, Ersatzneubau Grundstufenschulhaus mit Verbindungsgang. In einem solchen Verfahren gibt es keine gängige Rangierung mit Plätzen, sondern eine Empfehlung zur Weiterbearbeitung. Wir blieben unter den letzten beiden Projekten bis in die Schlussrunde. Projektleitung: Benedikt Profanter mit Makiol + Widerkehr Holzbauingenieure und Widmer Partner AG Bauleitung, Zum Kennwort Waldschwöschter: Uns erschien passend: „Wes i de Waldschwöschtere vom Chlööschterli gangen isch“, Mundart von Unterägeri, erzählt von Albert Iten. - Aus: Soo reded s dihäi. Phonogramm-Archiv Zürich 1939