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Es blinkt und die Schranken am Bahnübergang beginnen sich langsam zu senken. Ich fahre auf dem Velo und schaffe es wohl nicht mehr. Nun, ich versuche es erst gar nicht. Neben mir beschleunigt ein dunkler Wagen und überholt mich.  Zuerst nur sachte, doch dann kraftvoll. Elegant und mit sonorem Gebrumm gleitet er über die Bahnschwellen. Klack, klack, dann schliessen die Schranken ganz und rasten ein. Ich darf warten – und denke:

Hätte er oder sie auch beschleunigt, wenn unter dem Hintern kein flottes Auto, sondern ein alter Göppel wie meiner gewesen wäre? Und zu Fuss? Wäre die Person an mir vorbei getrabt? Natürlich nicht. Kein vernünftiger Mensch würde da rennen, oder?

Dabei empfinde ich die kleine Überlegung doch als ganz grundsätzliche, weil ich Ihnen und mir selbst unterstelle, dass viele Dinge nur deswegen getan werden, weil es so schrecklich leicht fällt. Es braucht nur ein Kippen des Schalters, einen Touch auf den Screen. Wir tun so vieles leichterhand und dadurch, gleichermassen unbewusst. Nicht wahr?

John Soane, ein britischer Architekt sagte sinngemäss, dass das Klima weniger eine Angelegenheit der Verschmutzung ist, sondern ein Indikator dafür wie unsere menschliche Psyche und Kultur von unserem natürlichen Lebensraum getrennt ist. Er sieht dies als Schlusspunkt im Projekt der Moderne. Bumm. Starker Tobak. Die Moderne ist also keine stilistische Wahl wie viele vermuten, sondern Ausdruck unserer Lebensart! Wir bauen, wie wir sind.

‚Modern‘ sind vor allem unsere Produktionsbedingungen –auch in der Bauerei – um für eine wachsende Zahl von Menschen zu maximal günstigen, also preiswerten Bedingungen, Güter oder eben Raum in möglichst grossen Massen und damit Renditen zur Verfügung stellen zu können. Dazu braucht es spezialisierte, hocheffiziente, voneinander getrennte Abläufe.  Sie wissen was das heisst. Holz in Glarus schlagen, in Österreich zu Holzwerkstoffen verarbeiten und wieder einführen,  den Rest verheizen. Wir, die Kinder der Moderne entfernen uns damit zunehmend von unseren realen Lebensräumen. Wir lernten effizient zu arbeiten, nicht effektiv. Wie sollen wir mit diesen Grundlagen ernsthaft einen klimatischen Kulturwandel angehen?

In Zürich legte man einst den Schlachthof – und nebenbei die Klinik für Sexualkrankheiten – in Aussersihl an. Damals also in die Aussenbezirke der Stadt. Mit solchem Zeugs wollte man nicht in Berührung kommen. Auch das ist eine Form der Trennung und Distanz. Woher kommen die Dinge, was braucht es dazu? Ich denke an die alltäglichen Momente von uns allen, wo wir aufs Gaspedal drücken, weil wir es leichterhand können, dass wir das Licht zu oft brennen lassen, weil wir heutzutage kein Petroleum mehr nachfüllen, dass wir in zu warmen Schlafzimmern nächtigen, weil wir kein Holz feuern müssen, dass wir zu viel Fleisch essen, weil wir nicht selbst schlachten, dass wir zu viel bestellen und umtauschen, weil wir nicht produzieren. Das entwertet die Güter und lässt sie in ihrer Wirkung immer fader erscheinen. Wir tun so vieles unbewusst, wie Chips vor dem TV essen und wundern uns schliesslich über zugelegte Kilos.

Wenn wir also nicht essen was wir mögen, sondern vor allem das mögen, was wir zu essen gelernt haben, dann sollten wir unsere Gewohnheiten freudvoll herausfordern. Eine Heizung selbst anfeuern, ein halbes Schwein statt Filet kaufen, im kalten Schlafzimmer schlafen, eine Platte auflegen statt zu streamen, Ferien machen ohne Strom und Komfort. Wir gewinnen, wenn wir weglassen, zumindest hin und wieder. Wir brauchen nicht mehr von allem, sondern weniger.

 

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen der Architektur möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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