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« Fransige Ränder »

Ein neuer besser komplettierter Dorfteil mit öffentlichen Institutionen, naturnahen Freiräumen sowie einer generationenverbindenen Wohnanlage.

Von Weitem. Landschaft und Bauten Im Chinesischen bezeichnet man ‚Landschaft‘ mit dem Gegensatzpaar Stein und Wasser. Der Landschaftsbegriff liegt im unbestimmten Dazwischen, in der Rahmung aus Fels und Wasser. Das Moos, die Natur wächst später auf dem Stein. Mit den historischen Bildern um Werdenberg kam uns diese poetische Denkweise wieder in den Sinn. In Gams zeigt sich das recht offensichtlich. Etliche Bergbächlein sammeln sich im Tobel zwischen Säntis und Gamserrugg und ergiessen sich dann in die Rheinebene. Genauso, nur etwas weniger sichtbar, geschieht das um Grabs. Vom Studner- und Grabserberg fliessen unzählige Bächlein hinunter, in schmalen Rinnen Richtung Osten, zum Rhein.  

BautenundBaeumeOrtsbau Isos Grabs

Unser Perimeter wurde in der Siegfried Karte von 1886 metaphorisch mit ‚Holland‘ bezeichnet. Das finden wir passend. Die schwarz-weissen Fotos illustrieren eindrücklich wie die Natur früher die Kulturlandschaft bestimmte, wie das Wasser vom Berg in das Staudener- und Grabserriet (Riet: vgl. roden, urbar machen, trockenlegen, Schilfgebiete, Reet) floss. Am grösseren Grabserbach siedelten Betriebe wegen der Wasserkraft. So folgte der Siedlungskörper der Natur. Die Kanäle bestimmten die Feldgrössen. 

Grabs war von unendlich vielen Bäumen durchsetzt. Der Wald ging vom Berg bis weit ins damalig feuchte Schwemmland hinein. Über Jahrzehnte trotzte man ihm immer mehr Ackerflächen ab. Wald und Bauten waren stark ineinander verwoben. Bäume, vor allem Obstbäume, waren selbstverständlicher Bestandteil des Ortsbildes. Erheiterndes Beispiel für diese intensive Verbundenheit ist das vor etwa 70 Jahren entworfene Grabser Wappen. Ein nackter, mit Tannenzweigen gegurteter und bekrönter Waldschrat schwingt breitbeinig eine ausgerissene Tanne und Holzkeule. Wie würde das Wappen von Grabs heute entworfen? Was sind die Eigenheiten des Ortes? 

Wie bei anderen topografisch abwechslungsreichen Lagen läuft in Grabs die Orientierung der Haupterschliessungsstrasse quer zur Landschaft. ‚Stein zu Wasser‘ spannen von West nach Ost, die Strassen dagegen erstrecken sich in Süd Nord Richtung. Zwar kann man vom Obertoggenburg dem Walchebach hinunter folgen, aber der wichtigere, weil bequemere Erschliessungsstrang liegt am Hangfuss, nicht zu weit oben und nicht zu weit unten. Weit davon abgerückt setzte man einige massstabssprengende Industriebauten ins Wiesland. Sie wirken hier falsch, nicht ihre Grösse oder zu gut gemeinten Gestalt wegen, oder weil sie den einst eindrücklichen Weitblick verstellen, sondern schlicht, weil es das Weidland zu schonen gilt. Ein Bauer würde sie oben an die Strasse setzen. 

Immerhin, viele der landschaftsräumlichen Qualitäten blieben spürbar. Beeindruckt hatte der Bestand älterer, mächtiger Bäume, denen man hoffentlich weiterhin Sorge trägt. Wir denken da an den Schulhof oder die schön gesetzten Beispiele an der Biegung des renaturierten Feldbachs vor dem Schulhaus. Solche Orte dürfen nicht verbaut werden. Man sollte sie freihalten und als Ressource weiterhin zur Geltung zu bringen. (s. Skizze Freifläche Weite)

SchwarzplanZwei OrdnungenFreiflaeche Weite NischenGrabs 500er

2 Etwas Näher. Ansatz Vereinzelt gibt es noch weitere hübsche Baugruppen, doch die ortsbaulich lehrreicheren Zonen bildeten sich vor allem entlang des Grabserbaches. Gewohnt und gearbeitet wurde gleichenorts. Die monofunktionalen EFH Siedlungen legten sich erst später um die Dörfer. Die historischen Fotografien zeigen wie Wohnen und Arbeiten vermischt waren, wie räumliche Versätze, Anbauten und Nischenräume, Vorplatz und Arbeitsplatz im Parterre zusammenwirkten. Wechselnde Ausrichtungen von Traufe und Giebel verliehen dem Dorfbild, trotz – und wegen – der ähnlichen Bauweise Lebendigkeit. Heute befinden wir uns in einer reinen Wohnzone W3. Wir können vom Pendlerort nicht mehr zurück zum Dorf, vielleicht dürfen wir das auch gar nicht mehr wollen und Homeoffice wird daran nichts ändern. Dennoch, wir versuchen soweit als möglich Gebrauch und Geschichte ineinander zu verwirken, weiterhin räumlich dicht zu arbeiten und die Ressource Landschaft zu erhalten.

 

„Innere Wiesstücke, Obstbaum- und andere Gärten sowie den alten Baumbestand als Bestandteil der Ganzheiten pflegen und schützen“ (ISOS Erhaltungshinweise)

3 Konkret. Vorschlag Schulhaus Ausgangspunkt unseres ortsbaulichen Ansatzes bildet eine Kette öffentlicher Bauten. (Schulhaus, Turnhalle, Altersheime, Stallscheune) Den Anfang macht das Schulhaus an der Staatsstrasse, das Ende, auf der anderen Seite des Feldbachs das Altersheim. Alle liegen parallel zum Grabserbach und zur Stüdtlistrasse, leicht gedreht in Ost West Richtung. Das Schulhaus finden wir im Grunde nach wie vor gut. Seinen schönen Auftritt mit der Halle am baumgesäumten Vorplatz möchten wir erhalten. Wir verstehen den Bau als Auftakt der weitreichenden Baureihe. Daher stellen wir ihr ein kräftiges, hohes Haus an den Anfang, ein markantes, hölzernes Volumen mit Weitsicht. Die Räume darin sind dreiseitig orientiert und nicht nur nach Süden wie die bestehenden Schulzimmer. Die Gruppen- und Schulräume liegen auf gleicher Ebene. Das Treppenhaus verschieben wir in den Geschossversprung. So entsteht eine Halle mit breitem Treppenrundlauf und Sitzstufen als grosszügiger Vorraum. Das nun entstandene Treppenloch bleibt als Luftraum erhalten. Wir fügen keinen weiteren Korridor an, sondern ein alternatives, vertikales v.a. freudvolles Raumangebot, eine Art Campanile, das den schlanken Schulhaustrakt verankert und gleichzeitig ein neues Raumgefühl einführt. Damit bleibt Platz für weitere Anbauideen erhalten, ein schöner Nebeneffekt.

Grundriss ParterreSchnitt Ansicht

Turnhalle Dahinter, am kleinen Wehr bzw. der Bachwindung schliesst ein neue Turnhalle die Lücke. Die Reihe vom Schulhaus über den Kindergarten im Stall und dem Altersheim zeichnet sich in der Situation klar ab. Das Areal wirkt sortiert. Die Halle darf keinesfalls auf der Nordseite des Bachs zu liegen kommen, denn der Ortsbau darf nicht weiter ausfransen. Das Gewicht der Hallen hält den Dorfkörper kompakt und wirkt als Orientierung und Gewicht in der Weite des Riets. Der östlich liegende Hof bleibt als vereinzelter Sprenkel bestehen. Es wäre schädlich, nur wegen einer besseren Erreichbarkeit neue Gruppen ausserhalb der Siedlung zu bilden. (s. Luftbild unten) Mit unserer vorgeschlagenen Setzung reichen die Felder bis an das Schulhaus heran. Die Sicht nach Osten bleibt offen und weit. Die Verzahnung von Bauten und Wiesland wird nicht verunklärt.

Die Turnhalle graben wir nicht ein, sondern nutzen ihre Grösse und Präsenz gegenüber Altersheim und Stall. Sie spannt einen grossen Binnenraum auf und ordnet die umliegenden Flächen klar. Die Turnhalle wird zum Herzstück der öffentlich schulischen und dörflichen Anlage. Daher konzipieren wir sie mit einer Kolonnade als öffenbaren, durchwegbaren Bau. Zwei seitliche Blöcke klammern den Hallenraum. Sie kann von zwei Seiten unabhängig betrieben werden und zum Platz oder Bach öffnen. Wir stellen uns vor, wie die Seitenwände bei Sport- oder anderen Anlässen offen stehen. Vielleicht wird sie zukünftig auch als Bogenhalle oder Festhütte genutzt und die umliegenden Freiflächen miteinbeziehen. Die Halle soll mehr als nur Sportstätte sein. Sie soll verschiedentlichen Gebrauch zulassen, ja geradezu einfordern. Ein robuster Raum zur Aneignung. Ergänzend zur öffenbaren Turnhalle liegen im Süden grosszügige chaussierte Freiflächen, welche mit einem dichten Baumhain und verschiedenen Ausstattungselementen sowohl Alltagssituationen bereichern als auch für Festivitäten und Anlässe einen sinnlichen Rahmen schaffen. Die Stimmung ist hier landschaftlich, die Beläge grösstenteils lose (chaussiert) mit grossen begrünten Baumscheiben und weichen Übergängen. Die Kugelstossanlage wird in ein vielfältig bespielbares Rasenfeld eingebettet. Nördlich der Halle – über ein kleines Brückchen erreichbar – werden in direktem Anschluss an den bestehenden Spielplatz der Allwetterplatz mit Weitsprunganlage platziert. 

So denken wir die Halle als kommunales, gemeinschaftliches Projekt wie eine Allmende. Wir stellen uns eine ‚Batterie‘ im kulturellen und wörtlichen Sinn vor. Das Dach wird mit mietbaren oder käuflichen PV Elementen eingedeckt. Unten stehen Autos, die den oben produzierten Strom speichern bzw. nutzen. Die Energiezukunft ist ohnehin im Begriff sich grundlegend zu ändern. Heute sprechen wir bereits von Solarpflicht und riesigen Autobahnüberdachungen. Mit den immensen solaren Gewinnen liesse sich zudem die Wärmeversorgung der Wohnbauten unterstützen. Natürlich wären auch die Wohnhäuser mit PV Elementen belegbar.

Aussen Wohnen TurnenBinnenflaeche im MorgennebelBestand in Grabs

Wohnbauten Neben der groben Körnung der Grossbauten, gibt es eine zweite, kleinmassstäblichere Ordnung der Wohnhäuser. In unserem Projektvorschlag spinnen wir diese weiter. Die Häuser stehen nah am Strassenraum. Dahinter strecken sich längliche Volumen in die Wiesen. Versprünge und L-förmige Nischen formen einen unscharfen, fransigen Rand, typisch für althergebrachte, lebendige Strassenräume. Die Bauten wechseln ihre Stellung und Richtung zur Strasse, je nachdem ob sie in Gruppen einen gemeinsamen Raum um die Strasse bilden oder ob sie den Blick in die Tiefe der Strasse suchen. Dann schauen sie halbverdeckt hinter ihrem Nachbar hervor, verengen den Raum und geben ihn dahinter umso wirkungsvoller frei. Die Wechsel der Richtungen, zwischen Enge und Weite, das Verweben der Räume über die Strasse hinweg beginnt schon an der Bürgerheim- und Hirschenstrasse. Wir führen das Gefundene weiter. So scheinen Bauten wie Personen zueinander zu stehen, ja vermutlich sind Häuser ohnehin auch nur kollektive Wesen. Wichtig finden wir, die Adressierung an der Strasse zu halten. Trotz des Verkehrs sollten wir uns dem gemeinsamen Raum Strasse wieder zuwenden. 

Die Wohnungen liegen teils Hochparterre, teils etwas über Bodenniveau. In den erhabenen Häusern befinden sich im Sockel Werkräume. In den anderen Untergeschossen sind Technik und Kellerräume vorgesehen. Es gibt verschiedene Wohnungstypen für eine gute Durchmischung und Reduzierung des unternehmerischen Risikos. Bei den Alterswohnungen bieten wir je einen Gemeinschaftsraum an. Vermeiden wollen wir private Gärten und beschränken daher die Gartenflächen auf die Balkone. Die Vorgärten der Wohnbauten sind allgemeiner Natur und vielfältig und ökologisch wertvoll mit Stauden, Gräsern und Sträuchern bepflanzt. Alle Wohnungen sind möglichst allseitig, meist mindestens dreiseitig gedacht. Die Rundumsicht soll den Blick erst beim nächsten Haus enden lassen und nicht bei der Wohnungstrennwand. Wir denken, auf dem Land wohnt man in den eigenen vier, zumindest möglichst vielen Wänden.

Kindergarten im StallCollage Stallfassade

Stallscheune
Der Stall steht sehr gut. Zusammen mit Linde und Bürgerheim formt er einen guten, identitätsstiftenden Raum. Heute fehlen in Dorfbildern oft als erstes die grossen Stall- volumen, weil man nicht daran glauben will, sie noch gebrauchen zu können. Dabei sind es doch genau die Freiräume, die wir so sehr vermissen, Räume von denen wir noch nicht genau wissen, wozu sie einmal gut sein werden. Dorfbilder wandeln sich überall zu rentablen, homogenen Siedlungen. Zu schnell werden Erinnerungsstücke von volumengleichen Wohnbauten getilgt. Wir empfinden das als nicht nachhaltig – und geschichtsvergessen.

Ein Stall ist nicht bloss sentimentales Erinnerungsstück, sondern auch ein unerwarte- tes Raumangebot, bei uns für die Mieterinnen und Mieter der Wohnungen nebenan. Das Wohnen auf dem Land sollte sich vom Wohnen in der Agglomeration und Stadt unter- scheiden. Man hat neben der Rundumsicht vor allem Platz. Werkräume und Ateliers können im linken, unbeheizten Stallteil gemietet werden. Es wird gewerkelt und geflickt, Tische gebeizt, Motorräder poliert. Rund um den Stall wird es lebendig.

Den rechten, älteren Teil versehen wir mit einer muralen Innendämmung. Der Eingang erfolgt über das Treppenhaus, in der früheren Einfahrt des Stalls. Auf zwei Geschossen lassen sich die Kindergärten mit grosszügigem Platzangebot unterbringen, im Dachstock sind sogar Schaukeln und Trampolin für Schlechtwettertage denkbar. Wer hätte nicht gerne so einen Kindergarten im Stall? Vielleicht gibt es neben den Werkräumen sogar Platz für Kleintiere, um die sich die Kleinen kümmern können. Nebenbei: Das Dachgeschoss wäre auch für weitere Schulräume nutzbar; ein Potenzial, um das man vielleicht einmal froh sein wird. Für beide Nutzungen – Ateliers und Kindergarten – entsteht ein kleiner chaussierter Hof. Hier begegnen und inspirieren sich diese beiden Themenbe- reiche gegenseitig. Neben vielfältig nutzbaren Freiflächen werden ebenso Bereiche mit Spielelementen wie Kletterlandschaften eingerichtet.

Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit
Mit einem durchmischten Angebot an Wohnungstypen und Möglichkeiten der Etap- pierung halten wir das unternehmerische Risiko klein. Zudem kann die baukastenartige Ordnung in gewissem Masse an Rahmenbedingungen angepasst werden, ohne ihren Charakter zu verlieren. Aufwändig sind bei den Bauten vielleicht die Fassadenabwicklungen der versetzten Baukörper und die grosszügige Befensterung. Doch wir glauben genau hier, die Qualität festzumachen. 

 

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Studienauftrag im Einladungsverfahren, Arealentwicklung Feld, Grabs, Empfehlung zur Weiterbearbeitung, Projektleitung: Vanessa Beer, mit Benedikt Profanter sowie Tijssen Preller Landschaftsarchitekten

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